Kapitel einundzwanzig - und auf einmal ist Alles anders

Veröffentlicht am 22. Januar 2024 um 14:44

eigentlich wollte ich an dieser Stelle weitermachen wo ich beim letzten Male geendet habe. aber genauso wenig wie ich auch keinen Plan aufstelle oder eben kein zu erreichendes Ziel für die nächsten zehn Jahre habe, so habe ich auch nicht wirklich immer auch nur das Morgen in der Hand. es gibt Momente im Leben. selten kommt es vor, daß ich nach Worten suche. nach einer Einleitung. einem Beginn. ich kann es wahrscheinlich. nein. ich kann es nicht einordnen. habe keine Ahnung wie ich damit umgehen soll. keine Ahnung was passiert wenn es über mich hereinbricht. so versuche ich jetzt zumindest ein bisschen ausbrechen zu lassen.

als mich meine Mutter letzten Donnerstag zum zweiten Mal anrief. oder rief ich zurück. vielleicht hatte auch ich unterbewusst schon eine Vorahnung und trotzdem ziemlich gefasst, weil sie eben so stark ist, sagte, daß mein Papa gestorben ist. ich denke von einem Moment zum nächsten war ich erfüllt von Leere. und auch jetzt während ich dies schreibe. es ist seltsam. man fühlt Nichts oder Alles. keine Ahnung. ich trug es mit Fassung. es war ja auch kein Sterben aus heiterem Himmel. niemand in unserer Familie hätte damit gerechnet, daß er dieses Jahr noch bis zum Ende erleben würde. aber diese Eile sich davonzumachen. naja. mein Vater war eben ziemlich egoistisch. kann sein, da zwischen uns nie diese Vater-Sohn-Beziehung, wie man sie sich schön ausmalt, bestand, es mich zwar im Herzen traf. jedoch der Pfeil nicht tief eindrang, sondern seinen Weg durch eine der Bruchstellen darin suchte. nicht heil verließ er meinen Körper. ein Teil ist abgebrochen. ein Teil davon steckt unentfernbar in meinem Herzen. denn egal was da auch immer gewesen sein mag. es wird Gründe geben warum ich einen Teil meiner Kindheit vielleicht nicht verdrängt, sondern tief in einem untergeordnetem Unterstordner abgelegt habe. man hat nur einen Vater. eine Mutter. wie sehr man auch auch dagegen wehren mag. unsere Eltern prägen uns. zu einem gewissen Teil. und wir haben die Wahl. dieser Zeitpunkt im Leben eines Menschen, wo man sich selbst entscheiden kann, kommt früher oder später. dann hat man die Wahl ob man es annimmt. denn es gibt auch immer den Schatten dort wo es auch Licht gibt. und wie man damit umgeht. oder man weist es von sich. gibt sich wenigstens dieser Illusion hin. bekommt aber im Gegenzug wahrscheinlich mehr als man eigentlich wollte. jetzt könnte ich an dieser Stelle beginnen zu überlegen, was ich von meinem Vater mitgenommen habe. doch so schreibe ich nicht. ich will nicht darüber nachdenken was ich schreibe. wie ich es schreibe. und wann ich es schreibe. es ist immer genau dann der richtige Zeitpunkt wenn es geschieht. möglicherweise hatte mein Vater diese Eigenschaft auch. nein. meistens wurde Alles oder zumindest der Abschluss auf ein nicht genauer definiertes "morgen" verschoben. so habe ich es in Erinnerung. ein Macher war er bestimmt nicht. viel Gerede wenig Taten. nur war ich auch nicht anders. in den meisten Fällen habe ich erst gar nicht einmal angefangen. gut Ding braucht. Ding braucht Weile. die guten Dinge entstehen mehr aus Spontanität heraus. weil man dann einfach macht. kein Grübeln. kein Abwägen von für und wider. aber wie gesagt bin ich meines Vaters Sohn. da bleiben ein paar Sachen hängen. soll so sein.

ich lasse gerade ein Suchprogramm meine Festplatte durchlaufen. wo sind sie nur. diese guten Dinge die er mir mitgeben hat. da müssen doch welche sein. oder hat er sich meistens so präsentiert, daß diese stets im Verborgenem blieben. sind manch Eigenschaften, die man oberflächlich betrachtet eher schlecht scheinen, doch vielleicht gute.

mag sein, daß er wenig Talent fürs Schreiben besaß. oder er wusste davon nicht. oder wusste es und ließ es nicht zu. doch auf den Mund gefallen war er nicht. doch viel zu klug. niemand konnte mehr wissen als er. und er hatte immer Recht. ausgeschlossen daß er sich einmal irrte. Sturheit in großem Maße. es galt für mich also in große Fußstapfen zu treten. ich konnte sie zwar ausfüllen. doch ich gehe meinen eigenen Weg. manchmal kreuzen sie sich. und ich erwische mich dabei genauso rechthaberisch zu agieren. da müssen schon empirische Beweise dargebracht werden um mich von meiner Meinung abzubringen. das wird man auch nicht so leicht los. andererseits ist es ja gut zu seiner Meinung zu stehen. auch wenn das Meer unbarmherzig in meterhohen Wellen an die Felsen brandet und den Stein zerbrechen mag. es gab Phasen wo ich ein Streichholz eingeknickt bin. mich drehte wie eine Fahne im Wind. geringerer Widerstand. er war anders. unbeirrbar. unbelehrbar. die Mitte dessen zu finden ist keine leichte Aufgabe. ich bin mir nicht sicher ob er die Größe hatte sich dann einzugestehen, daß er auch mal im Unrecht war. gut. sich selbst vielleicht schon. doch anderen gegenüber. nein. wohl eher doch nicht.

es gibt ja Möglichkeit sich dem Eingeständnis einer Niederlage zu entziehen. man bricht das Ganze einfach ab und eröffnet eine neue Front. Gott. war das ein sturer Bock. mag sein, daß ich auch nie recht wusste wie oder worüber ich mit ihm reden sollte. weil er eben nie diese Vaterfigur war, von der ich keine Vorstellung hatte, wie sie denn eigentlich sein sollte. oder vielleicht doch. ich wusste nur, daß ich es anders machen wollte. ein schlechtes Vorbild ist ein gutes Vorbild. doch manchmal ist man so im Sog des Windschattens gefangen, daß man ihm eben nicht ganz entkommt. das verursacht gerade ein wenig Kopfschütteln bei mir. es lässt sich nicht leugnen.

vielleicht liegt es mir im Blute Schlechtes immer zu aller Erst zu sehen. und das Gute mal außen vor zu lassen. doch das Schlechte hat nicht den Mehranteil auf dieser Welt. man hat nur vielleicht nicht gelernt danach Ausschau zu halten. sind doch auch Zeitungen und Nachrichten darauf ausgelegt mehr schlecht Kund zu tun als zu frohlocken.

es wird auch seinem Egoismus, den Grat des gesunden um ein vielfaches unterschritten, geschuldet gewesen sein, daß er uns nie wirklich sagte wie es gesundheitlich um ihn stand. ja. den Krebs hatte er nur für sich alleine. aber wir Alle hatten trotzdem Ihn. ich kannte meinen Vater nicht wirklich gut, aber ich denke er wird der Meinung gewesen sein, daß es uns nichts anginge. nicht weil er sich Sorgen machte, daß wir uns dann sorgten. das taten wir ohnedies. er hat es so für sich entschieden. er hat am Ende auch bestimmt Frieden mit sich geschlossen, denn er ist mit einem Lächeln und offenen Händen eingeschlafen. man könnte sagen es war ein schöner Tod. vielleicht hat er auch Frieden mit all den Anderen, mit all dem Anderen gefunden. nur uns ließ er einfach zurück. mich ließ er einfach zurück. er wird schon stolz auf mich gewesen sein, auch wenn er anderes behauptete. nur war es ihm anscheinend nie möglich so etwas zu sagen. doch ist es nur ein schwacher Trost. denn solche Worte, kommen sie von Herzen, bedeuten so viel. sinnlos ist es eigentlich überhaupt darüber nachzudenken. er hat sich entschieden es als Geheimnis für sich zu behalten und sich still und heimlich davonzustehlen. zwar nicht ganz unangekündigt. doch viel eher als gedacht.

ich weiß auch nicht ob ich mir jetzt selbst bewusster bin, in diesen ersten Tages seines Ablebens. sonderbar gefasst. weil ich eben auch so stark zu sein scheine. denn ich bin es mit Bestimmtheit nicht. nur ist die Zeit des Zusammenbruchs noch nicht gekommen. mag sein, daß er auch gar nicht kommt. habe keinerlei Bedarf. und in all den Jahren, in denen ich mich nach und nach, Schritt für Schritt von meinem Vater entfernte, gelernt, wo ich Halt finde, ehe ich ins straucheln komme. die Sonne scheint. sollte. nein ich könnte auch draußen sein. doch war ich jetzt zwei Tage in Begleitung wandern. weil es meiner Seele gut tut. weil es das ist ist, was ich brauche. was ich gerne mache. ich habe meinen Kater. der gerade, sich an mich schmiegend, schläft und sich mehr Streicheleinheiten über sich ergehen lassen muss. ich habe Farben auf Leinwände geschüttet. weil die Kreativität in unserer Familie stark ist. weil wir eben stark sind. es ist manchen von uns vielleicht nur noch nicht ganz bewusst. deshalb wird auch dieser leere Raum in mir wieder gefüllt werden, der trotz all der Worte, die ich bis jetzt schrieb, nicht weichen mag. es ist wohl doch mehr Freude die überwiegt. darf man sich über den Tod eines naheststehenden Menschen freuen. er muss den Kampf, den er anscheinend schon länger nicht mehr kämpfen wollte, nicht zu Ende fechten. muss sich nicht mehr in der Ecke notdürftig verarzten lassen- für eine weitere Runde. die nur unter Schmerzen und Qualen zu überstehen wäre. er muss nicht mehr unsere Besorgnis sehen. wir können jetzt auch sorgloser sein. wahrlich, trotz des Verlustes, eine Win-Win-Situation. für manch einen mag das zynisch klingen. selbst wenn. Zynismus kann man nicht lernen. das ist so ein Pflichterbanteil. in meinem Fall. man kann da auch nicht einfach ablehnen. genauso wenig wie das was die nächsten Tage bringen werden. Tränen werden fließen. Tränen sollen fließen. und wenn es aquaplanig auf den Straßen werden sollte. der Grundwasserspiegel steigen sollte. denn das kann leicht passieren. die Wahrscheinlichkeit für doppelten Niederschlag ist hoch. Tränen der Traurigkeit. Tränen vor lauter Lachen.

und es ist leicht geschrieben.

man soll nicht nur trauern, daß jemand verstorben ist. man soll feiern, daß jemand gelebt hat. 

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Kommentare

Karin Gahr
Vor einem Jahr

Mein herzliches Beileid, Christian.